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Eine kleine schwarze Plattenhülle

„Under Pressure “ kam mir 1982 in Form einer kleinen quadratischen Schallplattenhülle entgegen. Ein schlichtes, pechschwarzes Cover, nur mit Songtitel und Interpreten in weißer Schrift versehen. Unspektakulär, aber luxuriös. Schallplatten waren Luxus, denn Musik nahmen ich und meine KlassenkameradInnen üblicherweise per Kassette vom Radio auf – Tonqualität schlecht, nun ja, dafür aber billig, denn das Taschengeld ließ nur wenig Spielraum für musikalischen Luxus. Jeden Mittwochabend lief Mal Sondocks Hitparade von 20 bis 21 Uhr im Radio. Im WDR. Kein Youtube, keine Jederzeit-Verfügbarkeit. Pure Anwesenheitspflicht. Keine Mediathek. Verpasste man eine Sendung, gab es keine Möglichkeit, sie erneut anzuhören. In dieser einen Stunde durfte niemand auch nur mit dem kleinen Finger an meine geschlossene Zimmertüre klopfen, ohne dass ich in furioses Zetern und Wehklagen ausbrach. Es brauchte absolute Ruhe, um Musikstücke aufzunehmen. Auf diesen immer wieder überspielten Kassetten mit 60 min Laufzeit. Mit diesem ramponierten, tragbaren Kassettenrecorder, der ganz nah an die Lautsprecher des Radios gestellt werden musste, damit das Ergebnis wenigstens einigermaßen gut hörbar wurde. Schlimm genug, dass Radiomoderatoren es cool fanden, zum Ende in die Songs reinzuquatschen und dass dann auf den Mixtapes oft noch ein paar Töne einer abgewürgten Stimme zu hören waren. Hm, ja so war das damals.

Mal Sondock’s Hitparade im WDR

Mal Sondock war ein absolutes Muss, wenn man am nächsten Tag in der Schule mitreden wollte. 1982, das war: Falco, Der Kommissar. Don’t you want me von Human League, Soft Cell mit Tainted Love. Und: Under Pressure. Dieses Intro, dass man nach spätestens drei Takten erkannte und dessen Text so berührte. Um die Single abzuspielen musste ich ins Wohnzimmer. Einen eigenen Plattenspieler hatte ich zu der Zeit noch nicht, also musste die elterliche Stereoanlage im Wohnzimmer herhalten. Ich habe keine Ahnung, wie oft ich die Single hintereinander habe laufen lassen und jedesmal die Lautstärke auf Anschlag gedreht habe. Aber ich bin meiner Mutter heute noch dankbar, dass sie das mitgemacht hat – es war weder ihre Musik noch ihre Lautstärke.

„People on Streets“ oder „Under Pressure „

Es gibt verschiedene Versionen, wie „Under Pressure “ entstanden sein soll – eine davon gab Brian May im Interview mit dem britischen „Mirror“ preis. Queen und Bowie kannten sich nur wenig, als sie  – eher zufällig – im legendären Montreux in der Schweiz zusammenkamen. Die Jungs von Queen arbeiteten dort in einem kleinen Studio und Bowie hatte sich zur gleichen Zeit in der Nachbarschaft niedergelassen. Laut May kam David an irgendeinem Tag einfach ins Studio und sagte „Hallo“.

Offensichtlich passten Zeit und Raumgefühl zusammen, denn man entschloss sich, dass es am besten wäre, wenn man  zusammen spielen würde, um sich kennenzulernen. Sie spielten einfach drauflos – eine Reihe von Songs die die alle kannten. Ab einem bestimmten Punkt, Otto Scharmer würde sagen „das Feld öffnete sich“, fanden sie, dass es cool wäre etwas Neues zu machen – just aus dem Moment heraus. John Deacon kam mit einem Riff, dass sich nach „Ding-Ding-Ding Diddle Ing-Ding“ (Brian May) anhörte – 6 gleiche Noten, dann eine Viertelnote runter.
Man unterbrach und kehrte drei Stunden später zurück: “What was that riff, you had, Deacy?” says David B. “I was like this”, says John Deacon. “No it wasn’t, says Bowie – it was like this”. This was a funny moment because I can just see DB going over and putting his hand on Johns fretting hand and stopping him. It was also a tense moment because it could have gone either way. (Brian May)

Sie spielten weiter und blieben beim Anfangsriff. May erwähnt im Interview, dass, wenn sie als Queen alleine gewesen wären, hätte man sich vermutlich jetzt getrennt, über die Fragmente nachgedacht und dann eine Songstruktur entwickelt. Doch jetzt passierte etwas anderes: David schlug eine andere Vorgehensweise vor: “We should just press on instinctively. Something will happen.” And he was right. It did. (Brian May)

Under Pressure

(c) Daniela Röcker – Kultur-Komplizen

 

An diesem Punkt war es noch kein wirklicher Song – keine Stimmen, keine Worte, kein Titel und niemand hatte eine Ahnung, wovon der Song eigentlich handeln sollte. Bowie schlug vor eine bestimmte Technik anzuwenden, die er schon benutzt hatte – eine sozusagen „demokratische“ Technik. Jeder von den Jungs hörte sich den Track an, zuerst ohne auf die anderen zu achten und vokalisierte erste Töne, die ihm in den Kopf kamen, Worte eingeschlossen.

„At this point Freddie laid down his amazing De Dah Day bits, very unusual, which actually made it to the final mix.“

Im nächsten Step wurden alle Teile zu einer Art „Best of“ Compilation zusammengefügt – ein Prototyp, der als Template für den finalen Songtext benutzt werden konnte. Dann trennte man sich zunächst – mit dem Prototyp im Kopf.

Am nächsten Tag war Bowie als erster im Studio. Er hatte eine genaue Vorstellung davon, wie der Songtext aussehen sollte und machte das auch klar. May sagte, es wäre ungewöhnlich für Queen gewesen, die Kontrolle derart loszulassen, aber Bowie hätte einen solch genialen Moment gehabt – man musste ihm folgen. Ein wunderbares Beispiel, wie sich verdiente Autorität (Richard Sennett) innerhalb einer Komplizenschaft zeigt und zu guten, von allen Seiten erwünschten Ergebnissen führt.

Differenzen und Kompromisse

Der Rest ist Geschichte? Nein, sagte May. Der Endmix dauerte noch etliche Wochen. Mercury und Bowie hatten verschiedene Sichtweisen, wie er letztendlich aussehen sollte, außerdem gab es technische Schwierigkeiten. Zum Schluss ist daraus ein Kompromiss geworden. Doch vielleicht trägt genau der zur Kraft des Songs bei.

In memory of…

Queen koppelten den Song „Under Pressure“ 1981 als Single aus dem Album „Hot Space“ aus und spielten ihn regelmäßig auf ihren Konzerten der 1980er Jahre. Bowie spielte das Lied erst in den 1990ern live. Beim legendären Freddie Mercury Tribute Concert 1992 im Londoner Wembley Stadion vertonte David Bowie „Under Pressure“ im Duett mit der wunderbaren Annie Lennox.

 

https://www.youtube.com/watch?v=YoDh_gHDvkk
https://www.youtube.com/watch?v=fCP2-Bfhy04
http://www.mirror.co.uk/3am/celebrity-news/brian-tells-how-david-bowie-7161073

 

Viele Grüße
Daniela Röcker

 

Bildquellennachweis: Daniela Röcker

 

Teil 2 … Scary Monsters

Teil 4 … Let`s dance